Gefühle und Tatsachen
Oder: Herz und Verstand. Der Mensch hat beides. Die meisten jedenfalls. Und beides hat wohl eine gewisse Berechtigung, wobei ich mir bei den Gefühlen nicht so sicher bin. Dazu hatte ich mich schon einmal ausgelassen. Aber sie sind nunmal da. Und ja, können auch mal Spaß machen (voraussichtlich letzter aber umfassendster Teil meine Trilogie zum Thema, nach meiner Polemik von 2022, die offensichtlich keinen meßbaren Einfluß auf unsere Gesellschaft hatte und meinem Kurzkommentar aus diesem Jahr).
Der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist: Gefühle sind subjektive Empfindungen. Sie können auch tatsächlich sein, müssen es aber nicht. Das macht es natürlich kompliziert. Aber Tatsachen sind einfach, klar, objektiv: sie beschreiben einen Zustand für alle, der so ist und den alle akzeptieren müssen. Ich fühle mich krank, kann sein, aber erst die Diagnose stellt fest, ob es wirklich stimmt oder nicht.
Das Problem ist: beides wird heutzutage immer mehr vermischt. Gefühle werden überbewertet und fälschlicherweise immer öfter als Tatsache dargestellt, Wissenschaftliche Erkenntnisse als Meinung. Dabei betreffen Gefühle nur eine Person; für sie kann es sogar eine Tatsache sein, sie fühlt es ja, aber für andere ist das vollkommen irrelevant.
Der ganze Scheiß fing wohl damit an, als unsere drögen Wetterpropheten mal etwas mehr Aufmerksamkeit erreichen wollten und das Kriterium der „gefühlten Temperatur“ erfanden. Ein krasses Absurdikum, das auch noch erfolgreich war. Hinweis an die TikToker: Die Temperatur misst man mit Geräten, man kann sie bestimmen und sie ist dann so. Gefühlte Temperaturen werden nur angewendet, um langweilige Tatsachen etwas drastischer darzustellen, aus Sensationsgier, aus Populismus. Es sind 30°, gefühlt aber 35° – ein Rekord für diese Jahreszeit! So ein Quatsch. Es wird negiert, dass Gefühle, bei jedem anders sind: ein Saharabewohner, wird sich bei 35° wohlfühlen, nur der Mitteleuropäer nicht. Damit ist die gefühlte Temperatur eine vollkommen sinnlose Angabe. Mehr noch: sie nimmt einem die Entscheidung nach eigenen Gefühlen ab.
Das schöne an Gefühlen ist: man kann sich der Wirklichkeit entziehen! Ich fühle mich als Mann, als Frau oder sonstiges. Das kann und darf man. Man kann heute sogar das Wunschgeschlecht selbst bestimmen und in den Ausweis schreiben lassen; sogar eine Geschlechtsform, die es gar nicht gibt! Noch ein krasses Absurdikum: man kann nicht etwas bestimmen, was nicht ist. Und es bringt natürlich einen Haufen unnötiger Probleme mit sich.
Im Prinzip untergraben solche Zugeständnisse an die Wünsche klitzekleinster Minderheiten den gesellschaftlichen Zusammenhalt und etablierte Werte wie die Wahrheit, Erkenntnis, Wissen. Minderheiten sollen natürlich geschützt – aber sicher nicht überbewertet oder gar bevorzugt werden. Bald fordert ein Gruppe dunkelhaariger, blond zu sein und ich kann bestimmen, wie groß ich bin, welche Augenfarbe ich habe und wo ich eigentlich wohne. Oder dass ich der Kaiser von China bin.
Einen offiziellen Ausweis brauchen wir dann auch nicht mehr; wir stellen uns einfach selbst einen aus. Gefühle sind eben wichtiger und müssen respektiert werden! Ich bin doch das, was ich fühle, nicht was ich bin! Oder? Bin ich eigentlich überhaupt ein Mensch? Ich habe auch schon öfter mal Wau Wau gesagt.
Das Leben in einer Gesellschaft wird nicht nur komplizierter, sondern unmöglich, wenn wir uns nicht auf ein paar gemeinsame Grundlagen einigen. Erkenntnisse, Tatsachen, Wissenschaft. Fakten waren mal angesehen, bis jemand aus Übersee, von wo wir gerne jeden Blödsinn übernehmen, das Unwort „alternative Fakten“ in den Raum warf. Neulich las ich einen Satz in unserer ehemals angesehenen aber mittlerweile dem Zeitgeist bedingungslos unterworfenen Hauptstadtzeitung, der dem Sinn nach aussagte: „Sie steht auf dem Standpunkt, dass es nur zwei Geschlechter gibt“. Ein krasser Satz, der vollkommen laienhaft und demagogisch versucht, Jahrtausendealte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage zu stellen. Eine politische Stellungnahme.
Aber ich bin liberal: Jeder darf und soll sich so sehen, fühlen, inszenieren, wie er will. Er darf nur nicht von anderen verlangen, dass sie das auch so sehen und schon gar nicht, dass ihre Gefühle als Tatsache gewertet werden. Ich bin für eine grundsätzliche und klare Trennung zwischen subjektiv und objektiv. Die Aufklärung war schon hilfreich für das Zusammenleben, aber wohl nicht nachhaltig. Wie wäre es mit einer Renaissance? Die werde ich wohl nicht mehr erleben.
„Gefühlte Temperatur“, „gefühltes“ Geschlecht. Ha! Höhere Mathematik! Gut getroffen.
Danke, PJ. Mir selbst etwas zu lang, aber das musste alles mal raus!