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Autobiographisches // Seite 2

Mexico

Es war ca. 1989 als ich – nach dem Abschluss des (seeehr langen) Studiums – eine ausgedehnte Fernreise unternahm und dabei auch durch Mexiko fuhr. Genauer gesagt, wollte ich mit dem Nachtbus von Mexiko-Stadt nach Dallas fahren. In Mexiko gibt es Grenzen zwischen den Bundesstaaten, und da wird auch ab-und-zu kontrolliert. Jedenfalls gerieten wir in eine solche Kontrolle. Die Grenzschützer kamen in den Bus, sahen sich um, und zeigten auf mich, den einzigen Ausländer. Ich musste meinen Rucksack öffnen und den Inhalt zeigen und dann sagten sie: „Komm mal mit“.

Dann musste ich mit ihnen im Dunkeln in ein provisorisches Zelt gehen und den Rucksack auspacken. Die hatten alle schwere Maschinengewehre und sonstige martialische Ausrüstung bei sich! Und ich war alleine im nirgendwo. Damals gab es kein Mobiltelefon. Keine Verbündeten.

Dann kam die Forderung: Dollares. Häh? Dollares, 200. Ich verstand. Die hatten mich als Gringo identifiziert und wollten Geld von mir. Aber ich war Student, und deutscher und hatte nicht so viel Geld. Das versuchte ich klarzumachen. Ich verhandelte!

Meine größte Sorge war dabei, dass die Leute im Bus dachten, och, keine Lust mehr zu warten, ist ja auch nur ein Ausländer, fahren wir weiter. Und mein Koffer mit allen Sachen war noch in dem Bus! Und wie sollte ich hier sonst noch jemals wegkommen? Egal, ich schlug vor: 20 Dollar und das wurde schließlich akzeptiert. Ich war überglücklich, dass der Bus gewartet hatte und konnte mit einem kleinen Verlust meine nächtliche Reise fortsetzen.

Mehr von dieser Reise

Eire

Wie bereits erwähnt, bin ich in Irland aufgewachsen. Auf dem Land; in einem riesigen Haus, mit einem riesigen Grundstück. Und ich hatte ein riesiges Kinderzimmer, mit Blick über ca. 1km eigene Felder zum Meer. Ich möchte hier nicht angeben, aber dokumentieren, was mich geprägt hat. Die Natur, das Meer, die Tiere, die Weite, die Freiheit, die Einsamkeit, die Natürlichkeit, die Einfachheit – und natürlich das Essen.

Mein Vater hatte entschieden, nach Irland zu ziehen. Es war Anfang der sechziger Jahre, kalter Krieg und der Russe wurde immer bedrohlicher. War kurz davor, die Mauer zu bauen. Viele sind in dieser Zeit aufgrund der politischen Verhältnisse ausgewandert.

Es gibt viele Geschichten aus dieser Zeit zu erzählen, aber ich beschränke mich etwas unwillig auf das Thema Essen, damit das hier nicht ausufert.

Mein Vater hat neben seinem Job als Arzt in einem Krankenhaus in Dublin – die Ländereien bewirtschaftet, Korn und Kartoffeln angebaut und geerntet. Ich saß mit Vorliebe auf dem riesigen Mähdrescher, um das Korn einzuholen. Auch ging mein Vater auf die Jagd. Und schoss mal einen Fasan, mal eine Taube und mal ein Kaninchen. Alles landete in unserer riesigen Speisekammer. Ein extra Raum zur Lagerung von Lebensmitteln, neben der Küche. Dort wurde das Wild erstmal ein paar Tage aufgehängt/abgehängt, weil das wohl einen besseren Geschmack bewirkt.

Der Autor mit Vater und dem Trecker, mit dem das Feld bestellt wurde

Ich durfte dann dabei sein – und es hat mich sehr interessiert – wenn meine Mutter den ganzen Kram für das Essen vorbereiten musste. Das heißt, das Wild, nehmen wir den Fasan, musste gerupft zerschnitten und ausgenommen werden. Dabei lernte ich, wie man die Federn am besten abzupft, wo man den Schnitt setzen muss, und wie Leber, Niere, Magen, Herz, Lunge beim Fasan (bzw. Taube, Fisch, Kaninchen) aussehen. Dass man auf keinen Fall die Milz anschneiden darf, damit das Ganze nicht ungenießbar wird.

Manchmal musste zur Verpflegung der Familie auch ein Huhn aus dem hauseigenen Bestand dran glauben. Schon das Einfangen war gar nicht so einfach, wie man denkt. Dann hielt man es mit gestrecktem Hals über einen großen Holzklotz. Ein Mittäter haute das Beil genau auf den Hals, was das Huhn in zwei Teile trennte und durchaus mit einigen Blutspritzern erfolgte. Es kam vor, dass der Körper dann noch ein paar chaotische Schritte unternahm, aber dann war das Abendessen für die weitere Zubereitung verfügbar. Damals war vegetarisches Essen noch nicht so ein Thema.

Wir sind auch auf das Meer zum Angeln gefahren und haben Fische mitgebracht. Ich hatte einmal sieben Makrelen an einer Nylonleine mit Federködern, weil wir zufällig in einen Schwarm geraten waren.

Manchmal gab es auch einen Hummer. Das war damals nicht elitär, aber schon etwas besonderes. Lebend natürlich. Der wurde so in das kochende Wasser geworfen und wechselte während des verzweifelten Zappelns seine Schalenfarbe von Blau zu dem bekannten Rot-Orange.

Auch bin ich mit meinem Freund durch die Wälder gestreift und zu einem Bach gewandert, aus dem wir Aale gefangen haben. Übrigens sehr schwer, zu töten. Üblicherweise steckt man den Daumen in den Mund des Fisches und knickt den Kopf nach hinten ab, so dass das Genick bricht. Beim Aal war das schwierig, weil er auch so glitschig war. Egal, ich drifte ab: Er hat sehr gut geschmeckt.

Das Essen hat mich wohl auch geprägt. Ich mag Lamm, das dort viel gegessen wird, Fisch, billige Sausages und manchmal sogar Instant-Kaffee. Oder Cheddar-Käse. Damals war es so: wenn man in den Laden ging, um Käse zu kaufen, wurde gefragt: „Do you want the red one or the yellow one?“. Mehr gab es nicht.

Es gab auch kein vernünftiges Brot, Vollkorn schon gar nicht, nur Toast in vielen Varianten. Für Menschen aus Deutschland eine Qual. So wurde meine Mutter dazu verpflichtet, eigenes Vollkornbrot zu backen. Das braucht übrigens viel Geduld und Erfahrung: Sauerteig ansetzen und pflegen, davon immer einen Teil für das nächste Brot einsetzen und den Ursprungsteig gut und gekühlt aufbewahren. Leider weiß ich das nicht mehr so genau wie das geht.

Um das mal zusammenzufassen: das Essen in Irland war damals furchtbar. Nur durch die Selbstversorgung und Beschaffung durch meinen Vater, sowie die Kreativität und Kochkunst meiner Mutter konnten wir überleben. Im Garten wurden dazu dann die wichtigsten Gemüse- und Obstsorten angebaut. Ein Ideal der Selbstversorgung!

Ein strukturelles Problem

Ich war auch mal auf einem Internat. Mein Vater wollte mich fördern. Und ich wollte gerne vom Kaff in eine größere Stadt ziehen. Die Wahl fiel auf ein privates Jungen-Internat, am Rand der ehemaligen Bundeshauptstadt, von den Jesuiten betrieben und mit ausgezeichnetem Ruf.

Ich erinnere mich noch an das Aufnahmegespräch. Der Rektor fragte mich (nachdem er die Eltern rausgeschickt hatte) ob ich denn überhaupt auf ein Internat gehen wolle? Das hat mich beeindruckt und ich war überzeugt. Als Evangele habe ich mich dann auch mit dem katholischen abgefunden, da ich nicht so bevormundet wurde und vor allem nicht an den wöchentlichen Gottesdiensten teilnehmen musste.

Ein- bis zweimal im Jahr gab es ein Fest. Vom nahegelegenen Mädcheninternat wurden die weiblichen Gegenstücke mit dem Bus eingefahren. Diese haben einmal eine Vorstellung gegeben, die bei mir hängen geblieben ist: Zum Stück „Walk on the wild side“ traten sie in Hosenanzügen auf, rauchten Zigarillos und bewegten sich unglaublich cool zur Musik. Am späten Abend mussten alle wieder in den Bus einsteigen und es gab herzzerreißende Abschiedsszenen.

Viele Jahre später in den Zehnern, ging eine Nachricht durch die Presse, dass es genau in diesem Internat auch Missbrauch gegeben habe. Gemeint ist sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ich war erschüttert. Das war mir nicht klar, aber in Nachhinein, erinnert man sich doch an manche Details. So hing in der Stella zum Beispiel ein fröhliches Nacktbild von einem Schüler. Aber mein Gott – es waren die siebziger! Was erst später herauskam ist, dass der Junge, den ich kannte – damals und heute – sehr darunter und vor Allem auch auch unter anderen Tätigkeiten gelitten hat. Das tut mir Leid.

Es sind laut Medienberichten – und ich glaube diesen – noch viele unschöne Details in der katholischen Kirche passiert die auch die Systematik des Missbrauchs dokumentieren. In diesem Fall wurde vor allem Pater Stüper (gestorben 2010), der Internatsleiter, genannt. Ich mochte ihn eigentlich, obwohl er ein Choleriker war, und er mochte mich, was mir Privilegien verschaffte (Einzelzimmer im Jägerhäuschen). Mehr war nicht und viel mehr bekam ich damals nicht mit. Heute ist das natürlich erschreckend – auch weil sich öffentlich ein Bewusstsein für den Missbrauch entwickelt hat. Und es reiht sich ein in eine systemimmanente, institutionelle Praktik.

Ich bin froh, dass mein Vater, der zum katholischen Glauben konvertierte (und das Internat bezahlt hat!), von alledem nichts mitbekommen hat, er würde sich im Grabe umdrehen.

Heute lese ich auf SPON, dass das Internat „wegen mangelnder Auslastung“ geschlossen wurde. Den Artikel kann ich genau genommen nicht lesen, da dies zahlungspflichtig ist und ich im Moment keine Lust darauf habe, dem nachzukommen. Die Schlagzeile aber hat mich jedenfalls zu diesem Artikel animiert. Die Hintergrund-Informationen habe ich dann woanders bekommen. Der beste Artikel zum Thema wurde übrigens 2013 im Berliner Tagesspiegel geschrieben. Vielleicht noch hier.

Das trügerisch idyllische Jägerhäuschen, in dem ich (mit anderen auserwählten) wohnen durfte.

Foto: By Fujicolor [Public domain], from Wikimedia Commons

21. September 2018 // Autobiographisches // Kommentar schreiben!