Mein Einstieg in Berlin

Es war Anfang der Achtziger. Mit dem R4 meiner Mutter und allen Sachen nach Berlin umgezogen. Eine Familienfreundin hatte mir eine temporäre Unterkunft angeboten. Ein Hochbett in einem ganz passablen Zimmer in der Danckelmannstraße.

Mein erster Eindruck von Berlin war schlimm. Ich hatte mir Großstadt, moderne Urbanität, viele nette Leute und schicke Gebäude vorgestellt. Statt dessen: Gaslaternen (Jahrhundertwende?), alles Altbauten mit vielen Verzierungen, die Stadt vollkommen heruntergekommen (seht Euch mal Filme aus dieser Zeit an!), coole und arrogante Leute, Berliner Schnauze – und der R4 mit dem Umzugsgut wurde nach ca. zwei Tagen aufgebrochen und bestohlen.

Die Wohnungssuche war schwer. Es gab akute Wohnungsnot (kommt mir auch heute noch bekannt vor; Berlin eben.) Am Freitag- oder Samstag-Abend stellte man sich – auch als linksorientierter Springer-Hasser (ich bin auch pragmatisch veranlagt) – vor das Hauptgebäude in der Kochstraße und wartete, bis die frisch gedruckte  Morgenpost ausgeliefert wurde.

Und ich war nicht der einzige. Als die Wagen um die Ecke kamen, hielten sie tatsächlich an und man konnte – wahrscheinlich illegal – die neueste Ausgabe der Zeitung (ein ehemalig erfolgreiches Printmedium) als erster, zweiter, fünfzehnter erwerben. Die Zeitung mit den meisten Vermietungsanzeigen. Dann so schnell wie möglich zur nächsten Telefonzelle gerannt (damals gab es noch keine Schlautelefone) und (sofern die nicht schon von der Konkurrenz besetzt war) die wichtigsten Angebot-Ersteller angerufen. Erfolglos.

Dann gab es eine Selbsthilfegruppe, die ich besuchte. Alle auf dramatischer Wohnungssuche. Es gab Vollkornbrot und Salbei-Tee. Und es kam irgendwann der Vorschlag: Wir besetzen einfach ein leer stehendes Haus! Ich war schockiert. Man kann doch nicht einfach die Tür aufbrechen und einziehen. Wichtiges Hintergrundwissen: Zu der Zeit gab es aufgrund der akuten Wohnungsnot weit über hundert besetzte Häuser in Berlin – weil die Jahrelang leer standen und die Eigentümer damit spekulierten. Es gab quasi ein Recht auf Besetzung. Man muss anerkennen, dass die Hausbesetzer dazu beigetragen haben, einen großen Teil der Altbausubstanz in Berlin zu erhalten! Später habe ich dann in einem der Häuser gewohnt, aber eher temporär. Dazu später vielleicht mehr. erledigt
(Aus dramatischen und fiktiven Gründen habe ich den Satz „Es gab Vollkornbrot und Salbei-Tee.“ in falschem Zusammenhang genannt: Dies gab es erst später, in einem besetzten Haus.)

Jedenfalls habe ich dann doch noch regulär eine Wohnung gefunden. In Kreuzberg 62 – da hatte ich erst etwas Bedenken. Aber wohl nicht so schlimm, wie 36 und Preis war ok. 185,- D-Mark pro Monat für zwei Zimmer. Ich hatte immer ein Faible für große Wohnumgebungen. Leider mit kalten Wasser, ohne Bad (zum Duschen ging man in das Stadtbad), zum Händewaschen in die „Küche“; Ofenheizung, Erdgeschoss, Blick in einen verkommenen Hof, Himmelsicht nur, wenn man sich vor dem Fenster auf den Boden legte und nach oben sah. Immerhin Innenklo. Und einmal hatte ich eine Ratte im Schlafzimmer. Aber es gab schöne Parties. Kein Problem, dass Karslquell-Dosen an die Wand gepfeffert wurden.

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