Ein strukturelles Problem

Ich war auch mal auf einem Internat. Mein Vater wollte mich fördern. Und ich wollte gerne vom Kaff in eine größere Stadt ziehen. Die Wahl fiel auf ein privates Jungen-Internat, am Rand der ehemaligen Bundeshauptstadt, von den Jesuiten betrieben und mit ausgezeichnetem Ruf.

Ich erinnere mich noch an das Aufnahmegespräch. Der Rektor fragte mich (nachdem er die Eltern rausgeschickt hatte) ob ich denn überhaupt auf ein Internat gehen wolle? Das hat mich beeindruckt und ich war überzeugt. Als Evangele habe ich mich dann auch mit dem katholischen abgefunden, da ich nicht so bevormundet wurde und vor allem nicht an den wöchentlichen Gottesdiensten teilnehmen musste.

Ein- bis zweimal im Jahr gab es ein Fest. Vom nahegelegenen Mädcheninternat wurden die weiblichen Gegenstücke mit dem Bus eingefahren. Diese haben einmal eine Vorstellung gegeben, die bei mir hängen geblieben ist: Zum Stück „Walk on the wild side“ traten sie in Hosenanzügen auf, rauchten Zigarillos und bewegten sich unglaublich cool zur Musik. Am späten Abend mussten alle wieder in den Bus einsteigen und es gab herzzerreißende Abschiedsszenen.

Viele Jahre später in den Zehnern, ging eine Nachricht durch die Presse, dass es genau in diesem Internat auch Missbrauch gegeben habe. Gemeint ist sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ich war erschüttert. Das war mir nicht klar, aber in Nachhinein, erinnert man sich doch an manche Details. So hing in der Stella zum Beispiel ein fröhliches Nacktbild von einem Schüler. Aber mein Gott – es waren die siebziger! Was erst später herauskam ist, dass der Junge, den ich kannte – damals und heute – sehr darunter und vor Allem auch auch unter anderen Tätigkeiten gelitten hat. Das tut mir Leid.

Es sind laut Medienberichten – und ich glaube diesen – noch viele unschöne Details in der katholischen Kirche passiert die auch die Systematik des Missbrauchs dokumentieren. In diesem Fall wurde vor allem Pater Stüper (gestorben 2010), der Internatsleiter, genannt. Ich mochte ihn eigentlich, obwohl er ein Choleriker war, und er mochte mich, was mir Privilegien verschaffte (Einzelzimmer im Jägerhäuschen). Mehr war nicht und viel mehr bekam ich damals nicht mit. Heute ist das natürlich erschreckend – auch weil sich öffentlich ein Bewusstsein für den Missbrauch entwickelt hat. Und es reiht sich ein in eine systemimmanente, institutionelle Praktik.

Ich bin froh, dass mein Vater, der zum katholischen Glauben konvertierte (und das Internat bezahlt hat!), von alledem nichts mitbekommen hat, er würde sich im Grabe umdrehen.

Heute lese ich auf SPON, dass das Internat „wegen mangelnder Auslastung“ geschlossen wurde. Den Artikel kann ich genau genommen nicht lesen, da dies zahlungspflichtig ist und ich im Moment keine Lust darauf habe, dem nachzukommen. Die Schlagzeile aber hat mich jedenfalls zu diesem Artikel animiert. Die Hintergrund-Informationen habe ich dann woanders bekommen. Der beste Artikel zum Thema wurde übrigens 2013 im Berliner Tagesspiegel geschrieben. Vielleicht noch hier.

Das trügerisch idyllische Jägerhäuschen, in dem ich (mit anderen auserwählten) wohnen durfte.

Foto: By Fujicolor [Public domain], from Wikimedia Commons

21. September 2018 // Autobiographisches // Kommentar schreiben!

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